29.09.2022

Mehr Bewerbungen durch vielfältige Arbeitszeitmodelle – Was ist im Handwerk möglich?

Das Veranstaltungs-Team
Gemeinsam für mehr Frauen im Handwerk, v. l.: Susanne Sabisch-Schellhas (ddn Hamburg), Gülvesim Sari (Lüüd), Stephanie Anders (HWK), Michaela Freudenfeld (DGB Hamburg) und Claudia Hillebrand (Hamburger Sozialbehörde)

Der Fachkräftemangel im Handwerk und der Mut für neue Wege der Mitarbeitergewinnung führten am 9. September 2022 mehr als 20 Betriebe in der Handwerkskammer zusammen. Sie alle interessierten sich für flexible Arbeitszeiten als eine Möglichkeit, handwerkliche Berufe wieder attraktiver zu machen – denn die Mitarbeiterzahlen und erst recht die Nachfrage nach Ausbildungsplatzen sind rückläufig.

Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht, auch wenn die Politik beim Fachkräftegipfel kürzlich Vorschläge zum Gegensteuern erarbeitet hat. Das Handwerk will und muss sich bewegen, denn es wird immer schwieriger, Personal zu finden und Auszubildende zu gewinnen. Wer heute moderne Arbeitszeitmodelle einführt, ist damit gegenüber anderen Betrieben im Vorteil.

Modell der 4-Tage-Woche im Praxistest

Großes Interesse zeigten die Teilnehmenden am Modell der 4-Tage-Woche. Nils Grimm, Geschäftsführer der Tischlerei "Werkstatt für feine Räume" und Sven Bröhan, Inhaber des Metallbauers "Gebrüder Bröhan GmbH", schilderten, wie sie dieses Arbeitszeitmodell eingeführt und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben.

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Sven Bröhan berichtet von der Einführung der 4-Tage-Woche in seinem Metallbaubetrieb.

"Die Wochenarbeitszeit und die Entlohnung bleiben gleich, für einen freien Tag in der Woche wird an vier Tagen dafür mehr gearbeitet", erläuterte Sven Bröhan sein Modell. Bei Bewerbern und Bewerberinnen kommt es an. Es gab bereits Einstellungen, die ohne diese Option nicht erfolgt wären. Betriebswirtschaftliche Vorteile sind zudem wegfallende Wegzeiten zum Arbeitsplatz oder zur Baustelle, wenn Aufträge in weniger Tagen erledigt werden.

Mitarbeitende im Änderungsprozess mitnehmen

"Da die Arbeitszeit und -belastung pro Tag steigt, muss der Arbeitgeber darauf achten, dass es einen Umgang mit Überlastungsgefährdungen gibt", so Michaela Freudenberg vom DGB Hamburg. Die Familienfreundlichkeit sei bei diesem Modell individuell zu prüfen.

"Wichtig ist es, die Mitarbeitenden mitzunehmen", ist auch Nils Grimm überzeugt. Einige seiner Beschäftigten standen der neuen Regelung zunächst skeptisch gegenüber. Gespräche und Erläuterungen waren nötig, um Unsicherheiten zur nehmen. Er fügte hinzu: "Wenn das Modell erst einmal Schule gemacht hat, lassen sich alle überzeugen. Das Festhalten an Gewohnheiten steht Neuerungen manchmal im Wege."

Ausbildung in Teilzeit leicht gemacht

"Einfach machen und Neues wagen", ist auch das Motto von Anna Bräuninger, Inhaberin der Polsterei "Alles von Hand". Sie beschäftigt Hannah Büssenschütt als Auszubildende in Teilzeit und ist begeistert. "Es war so einfach, ein Anruf bei der Handwerkskammer genügte und der Ausbildungsvertrag konnte geschlossen werden."

Jetzt ist Hannah Büssenschütt schon im zweiten Lehrjahr und brennt wie ihre Chefin für den Beruf. "Ich freue mich jeden Tag auf die Arbeit und kann nicht verstehen, dass es einigen in der Berufsschule nicht so geht." Der wertschätzende Umgang, die flachen Hierarchien und der Zugang zu allen betrieblichen Abläufen wirken sich positiv auf Arbeitsalltag und -atmosphäre aus.

Mehr Zeit für die Familie ist im Interesse von Männern und Frauen

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Bedra Duric, Vizepräsidentin der Handwerkskammer, begab sich nach dem Podiumsgespräch in den direkten Austausch mit den Betrieben.

"Für Auszubildende sind Spaß am Job, gute Zukunftschancen und Sicherheit besonders wichtig", sagte Bedra Duric, Vizepräsidentin der Handwerkskammer in ihrer Begrüßungsrede. Die Perspektiven für das Handwerk sind sehr positiv, die Auftragsbücher sind gefüllt. Was also fehlt, um neue Fachkräfte zu gewinnen? "Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sehr wichtig", weiß Duric. "Nicht nur Frauen, auch viele Männer möchten Zeit mit ihrer Familie verbringen."

Neue Bewerbergruppen gewinnen

Michaela Freudenfeld vom DGB Hamburg betonte auf dem Podium, dass der Kreis potenzieller Bewerber/-innen erheblich erweitert wird, wenn das Handwerk darauf achtet, dass Arbeitszeitmodelle zu den Lebenswelten der Beschäftigten passen. Das betrifft bisher eher vernachlässigte Gruppen wie Pflegende, Sorgearbeit leistende Eltern, weniger belastbare, gesundheitlich eingeschränkte Personen oder Menschen, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind.

Unterstützung auf neuen Wegen

Claudia Hillebrand, Fachreferentin in der Sozialbehörde, wies im Podiumsgespräch auf die zahlreichen von der Stadt finanzierten Anlaufstellen hin, die zu diesen Themen kostenfrei beraten. Ansprechpartner/-innen stellten den Betriebsvertretungen an Infotischen ihre Angebote vor:

 

Betriebsvertretungen im Gespräch mit den Projekten.
Referentinnen des "ServiceCenter Teilzeitausbildung" und des "Expertinnen-Netz. Mentoring für Frauen" im Gespräch mit Betriebsvertretungen.

"Das passende Arbeitszeitmodell kann für jeden Betrieb anders aussehen", sagte Stephanie Anders, Bildungsreferentin in der Handwerkskammer. "Gleitzeit, Teilzeit oder die 4-Tage-Woche – alles kann dazu beitragen, die Abwanderung aus dem Handwerk zu stoppen und für mehr Bewerbungen zu sorgen!"

"Heute haben die anwesenden Betriebe starke Impulse und praktische Unterstützungsangebote erhalten, um sich im Kampf um die Fachkräfte in eine gute Position zu bringen", fasste Moderatorin und ddn-Projektleiterin Susanne Sabisch-Schellhas zusammen.

Fotos: © KWB